Fahrradtour: Friedrichsgabe im Nationalsozialismus
Zu Beginn der geschichtlichen Fahrradtour zum Gedenken an den „Tag der Befreiung“ am 8. Mai wurden die rund 18 Interessierten, die trotz Eiseskälte teilnahmen, vom Bündnis „Norderstedt ist weltoffen“ begrüßt.
Dabei stellte sich das Bündnis mit seinem Selbstverständnis und Zielen vor und mahnte, dass es wichtig ist, angesichts heutiger rechtsextremistischer und populistischer Strömungen immer den Nationalsozialismus und seine Gräueltaten vor Augen zu haben. Gleichzeitig forderte das Bündnis die Stadt Norderstedt dazu auf, sich stärker um die Aufarbeitung der NS-Geschichte auch in den anderen Stadtteilen zu kümmern.
Schon in der Einleitung von Pastor Eckhard Wallmann und dem Historiker Jörg Penning wurde eines deutlich: Wie sehr der Nationalsozialismus auch in der kleinen bäuerlichen Gemeinde Friedrichsgabe von Anfang an verankert und der NS-Terror allgegenwärtig war. Seine blutigen Spuren sind bis heute an zahlreichen Orten in Friedrichsgabe verortbar.
So berichtete Jörg Penning mit beeindruckendem Detailwissen von den Ergebnissen seiner Forschungen, die Pastor Eckhard Wallmann mit vielen spannenden Geschichten ergänzte:
• Von dem linientreuen, wenig gebildeten und brutalen NSDAP-Ortsgruppenleiter und späteren Bürgermeister Karl Lührs, dessen Haus an der Glockenheide 24 noch steht und der 1933 zu Hitlers Geburtstag einen Fackelmarsch organisierte, bei dem von SS-Männern zahlreiche Fenster von zumeist SPD-Anhängern eingeworfen wurden. Von demselben Lührs, der einen SS- und SA-Trupp nach politischen Gegnern jagen und diese in der Gaststätte „Zum Heidberg“ an der Ulzburger Straße 499 schwer misshandeln und einen sogar ins KZ Kuhlen bei Rickling verschleppen ließ. Und von demselben Lührs, der Bücher verbrennen ließ und sich nicht scheute, den amtierenden NSDAP-Bürgermeister und Bauer Willi Bahde anzuzeigen um selbst Bürgermeister von Friedrichsgabe zu werden, weil dieser auf seinem Hof „nicht nur die verbotene Tischgemeinschaft mit dem Polen (einem Zwangsarbeiter, Anm. d. R.) pflegte, sondern auch seinen jungen deutschen Arbeiter zwang, mit dem Polen engste Wohn- und Schlafgemeinschaft zu halten“. Und das, obwohl diese bäuerliche Tradition der Arbeits- und Lebensgemeinschaft von Bauern und Knechten durchaus üblich war.
• Von einem kleinen Kriegsgefangenenlager im Reiherhagen, das sich auf einem Bauernhof am Rande des Dorfes befand.
• Von dem Thingplatz, dem wichtigsten Überbleibsel der Nazizeit in Friedrichsgabe, auf dem die Sonnwendfeiern und nach dem Krieg in unreflektierter Kontinuität noch bin in die 60er Jahre hinein die Feste der Feuerwehr und Polizei gefeiert wurden.
• Und nicht zuletzt von der tragischen Geschichte von Karl Offen (SPD), der als Tischler bei Stürzenbecher (NSDAP) in Garstedt arbeitete und eines Tages in Streit mit seinem Meister geriet, weil er sich kritisch zu Krieg und Nazi-Propaganda geäußert haben soll. Der angezeigt und am 4. Dezember 1941 im Rathaus von Garstedt von der Gestapo verhört und festgenommen wurde. Und der – um sich für die Inhaftierung umziehen zu können – von der Gestapo nach Hause in den Apmannsweg 23 gefahren wurde, wo er sich in einem unbeobachteten Augenblick im Schlafzimmer in den Kopf schoss. Erst 2015 wurde vor dem Haus der erste und bislang einzige Stolperstein in Norderstedt zu seinem Gedenken verlegt, auf dem steht: „Vor Inhaftierung Flucht in den Tod“.
Abschliessend waren sich die Teilnehmenden einig, dass dieser Stolperstein nicht der einzige in Norderstedt bleiben darf und die NS-Geschichte der anderen Stadtteile ebenso aufgearbeitet werden muss – am besten mit Unterstützung des Norderstedter Stadtarchivs, Historiker*innen wie Jörg Penning und Schulen.
Link: https://www.spurensuche-kreis-pinneberg.de/