Gendern!? Tun wir doch jeden Tag!
Wenn wir von einem Ausflug erzählen und darüber sprechen, mit wem wir dort waren und wen wir dort gesehen haben, erzählen wir, dass wir Lisa getroffen haben und SIE sich ein Eis gekauft habe, während IHR Sohn Paul lieber spielen wollte. SIE erzählte dann davon, dass ER gerne mit Sand spiele.
So könnte der Text weiter gehen und wir haben durch die genauere Beschreibung erfasst, dass Lisa eine Frau ist und ihr Sohn ein Junge. Wir haben damit die Geschlechter der Personen beschrieben, sichtbar gemacht und dadurch in unserer Erzählung anerkannt. Damit sind Lisa und Paul geschlechtlich beschrieben und gegendert worden.
Wurde bis Anfang 1972 noch unterschieden zwischen einer verheirateten Frau „Frau“ und einer unverheirateten Frau „Fräulein“, wurde beim Gendern sogar noch die Botschaft vermittelt, ob diese Frau „einen Mann habe oder nicht“. Diese Zuschreibung haben wir zum Glück hinter uns gelassen, zugleich zeigt es: auch 1972 wurde gegendert.
Die Ansprache „Sehr geehrte Damen und Herren“ wurde bereits 1919 vom Sozialdemokraten Hermann Rhein bei der konstituierenden Sitzung der Bremischen Nationalversammlung benutzt.
Diese Form des Genderns war damals eine revolutionäre Tat, heute ist sie normal und durchweg anerkannt. Durch diese Form der Ansprache werden Frauen – so sie denn anwesend sind bzw. auch angesprochen werden sollen – als Subjekte anerkannt, wahrgenommen und angesprochen.
Seit einigen Jahren wird nun von rechten Parteien und Menschen dafür gestritten, dass man nicht gendern wolle. Wenn die Norderstedter FDP nun gegen das Gendern lärmt (und diesem Thema eine so hohe Bedeutung zumisst, dass für eine Stimmenmehrheit sogar die Brandmauer gegen die AfD in Norderstedt zu Fall gebracht und damit die Normalisierung der rechtsextremen Partei gefördert wird), dann unterstellen wir, dass niemand aus der Norderstedter FDP auf die Idee kommen würde, dass man anwesende Frauen nicht mehr ansprechen wolle, sondern vielmehr, dass sie nonbinäre Menschen ausschließen will.
Es geht also nicht ums Gendern an sich, sondern darum, dass Menschen nicht sichtbar werden sollen, die, wenn sie nicht mit angesprochen werden, eben nicht als Subjekte/Menschen anerkannt werden, nicht sichtbar sein dürfen und damit ihrer Existenz und ihrer Menschenwürde beraubt werden.
Wer Menschen nicht mit benennen will, sie damit nicht anerkennt und ihnen ihre Würde als Menschen aberkennt, verstößt gegen Artikel 1 des Grundgesetzes.
Die erweiterte Form des Genderns mittels Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt benennt nun eine Gruppe von Menschen mit, die vorher nicht sichtbar war. Nonbinäre Menschen, deren Status/Existenz mittlerweile durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt wurde und die im Personenstandsregister das Recht haben die selbstgewählten Kategorien „divers“ oder „ohne“ auszuwählen.
Um diese Gruppe mit anzusprechen (und sie damit in ihrer Menschenwürde anzuerkennen!), gibt es unterschiedliche Methoden, die von rechten Akteur*innen als „Gendern“ verächtlich gemacht werden.
Und ja, damit verändern sich Sprachgewohnheiten und ja, auch die Schriftsprache, so wie sie bis vor einigen Jahren üblich war, wird sich dadurch verändern.
Was wir gewinnen, ist eine Sprache, die alle Menschen anerkennt und damit allen Menschen ihre Würde zugesteht, die allen Menschen grundgesetzlich zusteht.
Deshalb lehnen wir den Vorstoß der FDP ab und wollen ein Norderstedt, in dem alle Menschen in ihrer Würde geachtet werden!